Der Duden antwortet ...
Bibliographisches Institut GmbH
Redaktion DUDEN
Mecklenburgische Straße 53
14197 Berlin
München, den 4. Februar 2017
„lohnenswert“
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Journalistin, Autorin und Dozentin habe ich stets versucht, in eigenen Texten wie auch bei Nachhilfeschülern, Studierenden und Nachwuchsautoren gutes Deutsch zu vermitteln, auf kleine und große Schlaglöcher in der Umgangssprache aufmerksam zu machen und den Unterschied zur Schriftsprache zu erkennen. Oft habe ich mich dabei auf den DUDEN berufen, jene unbestechliche Instanz der deutschen Rechtschreibung und Bedeutungslehre – und nun dies: „lohnenswert“.
Seit einigen Jahren wuchert dieses morphologisch-semantische Unkraut hartnäckig von Drehbuchdialogen über Werbeanzeigen, wissenschaftliche Abhandlungen bis in die Feuilletons renommierter Zeitungen. Nicht nur Philologinnen und Philologen drängen in wiederholten Leserbriefen an die einschlägigen Redaktionen auf allgemeine Ächtung.
Alles umsonst.
Inzwischen hat „lohnenswert“ den Aufstieg in den DUDEN geschafft – sogar online und jetzt halten einem halbwüchsige Deutschverweigerer ihre kleinen Bildschirme entgegen und erklären im Brustton der Überzeugung: „Das gehört so, das steht so im DUDEN“.
Vergeblich suche ich auch nur den allerkleinsten Hinweis darauf, dass das synonym verwendete Adjektiv „lohnend“ für sich alleine bereits die volle Bedeutung enthält und dass „lohnenswert“ nichts anderes ist als eine unsinnige Dopplung, ein umgangssprachlicher Ausrutscher, der als solcher doch bitte zu kennzeichnen wäre.
Zur Verdeutlichung: Es könnte sich lohnen bzw. als lohnend empfunden werden, gelegentlich den DUDEN aufzuschlagen, weil darin lesenswerte Artikel zu sprachlichen Zweifelsfällen zu finden sind, Texte also, die es wert sind, gelesen zu werden.
Niemals jedoch war die DUDEN-Lektüre es wert, sich zu lohnen, von „lohnenswert“ gar nicht erst zu reden. Es wird der lexikalische Gehalt auch dadurch nicht „lohnenswerter“, dass man dieses Unwort noch durch die Flexionsmangel dreht.
Das macht es nur noch schlimmer und nun bitte ich die geneigte Redaktion um eine Stellungnahme: Was bitte hat Sie veranlasst, diesen Begriff als solchen in Ihr Lexikon aufzunehmen? Warum wird ein solcher Unfug von der DUDEN-Redaktion nicht wenigstens kommentiert und als das benannt, was er ist: eine umgangssprachliche Gedankenlosigkeit, die in der Schriftsprache nichts verloren hat?
In Erwartung einer lohnenden weil lesenswerten Antwort
und mit freundlichen Grüßen
Franziska Werners
Und hier die wirklich lesenswerte Antwort der DUDEN-Sprachberatung ...
31.03.2017
Sehr geehrte Frau Werners,
vielen Dank für Ihre Zuschrift. Wir freuen uns, dass Sie sich mit einer Anfrage an die
Duden-Sprachberatung wenden.
Das Adjektiv „wert″ kann mit substantivierten Verben zu neuen Adjektiven verbunden werden. Diese Bildungen drücken dann aus, dass eine Person oder Sache es verdient hat, dass etwas Bestimmtes getan wird, z.B. anhörenswert = jemand/etwas verdient es, dass er/es angehört wird (ist also „des Anhörens wert″). Nach diesem Paradigma kann aber „lohnenswert″ eben nicht aufgelöst werden in *jemand/etwas verdient es, dass er/es gelohnt wird. Nach den Regeln der Wortbildung ist dieses Adjektiv also in der Tat nicht korrekt.
Wortgeschichtlich ist zu dieser umstrittenen Adjektivbildung zu sagen, dass sie etwa in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sein muss. Als erste Wörterbücher führten es die 17. Auflage der Duden-Rechtschreibung und das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache″ von R.Klappenbach und W. Steinitz (Berlin [Ost], 2. Band 1973) auf.
Im „Duden - „Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden″ findet sich ein Beleg aus dem Jahr 1976:
loh|nens|wert <Adjektiv>: lohnend, nutzbringend:
er weiß seine starke Lebensenergie für lohnenswerte Ziele einzusetzen (Hörzu 43, 1976, 153)
© DUDEN - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl. Mannheim 2012
Allem Anschein nach hat hier ein findiger Kopf dieser Zeit eine Analogiebildung zu „lobenswert″ für das adjektivische Partizip „lohnend″ kreiert. Die Sprachbenutzer haben nicht empört aufgeschrien, sondern die Neubildung mehr oder weniger bewusst in ihren Wortschatz integriert. Wenn nun bestimmte Verwendungsweisen trotz grammatischer Unstimmigkeiten für den Sprachbenutzer nachvollziehbar sind und sie so in den Sprachgebrauch übernommen werden, bleibt auch den Wörterbüchern nach gewissem zeitlichen Abstand nichts anderes übrig, als sie zu registrieren und damit gleichermaßen zu sanktionieren.
Die Verwendung von „lohnenswert″ reiht sich somit in eine große Zahl sprachlicher Ungereimtheiten (streng genommen: Unkorrektheiten) ein, die aber trotz Sprachkritik fester Bestandteil der Sprache geworden sind und sozusagen durch „Gewohnheitsrecht″ nachträglich gebilligt wurden (wie etwa auch „in schwimmendem Fett backen″ oder das „evangelische Pfarrhaus″ oder die „Eselsmilch″).
Natürlich können Sie jetzt einwenden, dass für eine Aufnahme in ein Wörterbuch die Faustregel „wenn viele etwas oft genug falsch machen, muss es richtig sein″ kein Kriterium sein sollte. Entscheidend ist hier aber nicht alleine die Tatsache, dass ein Wort von der Bildung her oder aufgrund seiner grammatischen Form falsch ist, sondern ob den Sprachbenutzern dieser „Makel″ bewusst ist.
Dieses Bewusstsein scheint bei „lohnenswert″ schnell geschwunden zu sein, denn diese Bildung wurde schnell akzeptiert und allein die Wörterbücher hefteten dem Wort noch für längere Zeit das Etikett „umgangssprachlich″ an. Zur schnellen Akzeptanz mag zum einen beigetragen haben, dass auf den ersten Blick die Mehrzahl der Sprachbenutzer hier keinen Fehler entdeckt hat, denn Bildungen auf -wert sind ja durchaus sprachimmanent, wenngleich sie bestimmten Paradigmen folgen müssen (s.o.). Zum anderen zeigt die Wortgeschichte, dass Formen, die vordergründig nicht den Wortbildungsregeln entsprechen, nicht von vornherein falsch sein müssen. Nur ein Beispiel: An der Fügung „der betrunkene Mann″ nimmt niemand Anstoß (höchstens am Sachverhalt selbst), obwohl regelkonform das Partizip II reflexiver Verben (hier: sich betrinken) nicht adjektivisch verwendet werden kann (z.B. nicht möglich: * der[sich] geirrte Mann, *das [sich] geschämte Kind).
Für derartige Erscheinungen gilt - bei aller notwendigen sprachpflegerischen Konsequenz, der auch wir uns verpflichtet fühlen - , dass unsere Sprache in einem ständigen Fluss begriffen ist und es wird immer Abweichungen und Veränderungen geben. Auch grammatische und stilistische Normen sind hiervon nicht ausgenommen. Entscheidend hierbei ist die Übereinstimmung im Sprachgebrauch, der Konsens der Sprachgemeinschaft. Schiller konnte noch im „Tell″ sagen „Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen″, und Goethe durfte im „Faust″ den Erdgeist fragen lassen
„Wer ruft mir?″, und unsere Urgroßeltern, je nach Alter noch die Großeltern, lernten „todt, Thür, fabriciren″ zu schreiben, heute alles grammatisch und orthografisch längst nicht mehr korrekt. So müssen wir alle damit leben, dass in einer lebendigen Sprache die Fehler von gestern nicht selten die Normen von heute sind, und Ausnahmen und Fehler von heute können die Normen von morgen sein. Regeln lassen sich, da die Sprache sich eben ständig wandelt, nicht konservieren.
Für Ihr Interesse an der deutschen Sprache und der redaktionellen Arbeit unseres Hauses danken wir Ihnen und würden uns freuen, wenn wir Sie auch weiterhin zu den aufmerksamen Nutzern der Produkte unseres Verlages zählen dürfen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Folz
Duden-Sprachberatung
Auch wenn ich persönlich dem schönen "lohnend" weiterhin die Treue halten werde,
eine so fundierte Antwort hat meinen Respekt .
Danke, Herr Folz !